Samstag, 12. Februar 2011

Spring Awakening


Nachdem Spring Awakening in den Hamburger Fliegenden Bauten abgesagt wurde, ging es heute zur vorletzten Show in Deutschland 400km in den Süden, nach Frankfurt ins English Theatre.

Am liebsten würde ich jetzt tausendmal hintereinander blah blah blah blah blah schreiben und den Blogpost beenden, weil der Abend so unbeschreiblich war und ich eigentlich zum Schreiben viel zu aufgewühlt und geflahed bin. Aber ich muss auch einfach noch ein paar schwärmende Worte los werden. Fangen wir also vorne an.

Der Tag fing nicht besonders positiv an, denn in Frankfurt fährt es sich ziemlich bescheiden Auto. Zum Glück war ich heute nur Beifahrer *puh* Es wurde jedoch ein Parkplatz gefunden und wir sind pünktlich nach einer leckeren Abendmahlzeit im English Theater angekommen.

Das Theater ist einfach zum verlieben. Es ist so klein und irgendwie auch so gemütlich <3 Da fühlt man sich gleich wohl. Unsere Plätze in Reihe 3 waren auch super. Es gibt keinen Orchestergraben und somit ist man sehr nah an der Bühne und die Reihen steigen auch echt stark an.

Bevor ich über das Stück schreibe, kurz was zum Inhalt. Spring Awakening beruht auf dem Drama “Frühlings Erwachen” von Frank Wedekind. Thematisch werden ziemlich viele Probleme von Jugendlichen Ende des 19. Jahrhunderts aufgegriffen. Sexualität/Homosexualität, Gewalt in der Familie, Schwangerschaft/Abtreibung, Depressionen. Die Problematik ist noch genau so in die Gegenwart projizierbar und somit hat die Thematik auch nicht an Aktualität verloren.

Das Stück ist sehr intim. Anders als bei den meisten Stücken, wo es ein (großes) Ensemble gibt mit vielen nichtssagenden Rollen, gab es in Spring Awakening sehr wenige Rollen und davon wurden alle so deutlich dargestellt, dass man sich auch an sie erinnern kann.
Intim trifft den Nagel aber noch aus einem anderen Grund auf den Kopf, denn es gab so manche Szene, in der man die Darsteller in sehr intimen Situationen gesehen hat. Und die Darstellung von diesen war auch sehr krass und hätte bei einem nicht lockeren Publikum sicher für Entrüstung gesorgt. Ich jedoch fand, dass diese skandalöse Konfrontation von Nöten war, denn das hat Spring Awakening ausgemacht. Keine Schönmalerei, sondern die knallharte Wahrheit. In jedem Punkt.
Anfangs noch mit so manchem Lacher, hat sich bei mir schnell eine chronische Gänsehaut ausgebreitet. Das ganze Stück über lief es mir immer wieder eiskalt den Rücken herunter. Das Zusammenspiel von Gesang und Darstellung ist den jungen Talenten so wunderbar gelungen. Das hat mich echt zu Tränen gerührt.

Dass die Musik mich nicht enttäuschen würde, war mir klar. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann und vor allem warum ich das erste Mal in die CD reingehört habe. Aber ich habe mich sofort in sie verliebt! Bei keinem anderen Musical liebe ich wirklich jedes einzelne Lied. Und das ist hier der Fall. Wie oft habe ich die komplette CD auf Autofahrten immer wieder durchgehört und sie hing mir nie aus den Ohren raus! Ich mag das rockige, das sanfte. Es ist alles so stimmig und hat entweder totalen Ohrwurm-Faktor oder rührt mich fast zu Tränen. So vielseitig und doch so eins. <3
Und zum Schluss sind in mir drin dann alle Dämme gebrochen. Als das komplette Cast auf der Bühne stand und “The Song of Purple Summer” gesungen hat, setzte plötzlich die Musik aus und es wurde A-Capella gesungen. Ich kann das Gefühl in mir an dieser Stelle einfach nicht mehr beschreiben.
Im Zusammenhang mit der Musik möchte ich auch noch positiv anmerken, dass sämtliche Darsteller sich sehr bemüht haben deutlich zu sprechen. Das Englisch war super zu verstehen und das ist ja auch nicht selbstverständlich.

Ich musste wieder einmal feststellen, dass ich die Bühnenbilder in kleinen Theatern immer mehr mag. Immer wieder aufs Neue bin ich überrascht, wie viel man aus einem dezenten oder sogar nicht vorhandenen Bühnenbild herausholen kann.
Der Bühnenboden war grau, dreckig und voll von Kreidestaub. Die komplette Rückwand bestand aus Tafeln, auf denen bereits vor Beginn des Stückes Formeln und lateinische Begriffe standen. Schulstoff halt. Während des Stückes haben die Darsteller immer wieder mit Kreide aussagekräftige Worte ergänzt (immer wieder habe ich auf ein “Shame” gestarrt). Bei den Erstauftritten von Melchior, Moritz und Wendla wurde jeweils ihr Name in großen Buchstaben auf die Seitentafeln geschrieben. Dies hatte noch einen besonderen Grund, den ich als Idee absolut gigantisch fand! Denn als Moritz gestorben ist, hat er seinen Namen mit einem Schwamm wieder weggewischt. Ein Detail, das mir wirklich eine noch größere Gänsehaut bereitet hat, als ich eh schon hatte.
Die Tafeln an der Rückwand konnten an beiden Seiten aufgeschoben werden, sodass links und rechts ein Raum entstand. Des Weiteren standen zwei Leitern an der Wand, auf denen die Darsteller auf eine schmale Ebene darüber gelangen konnten.
Requisiten gab es eher wenig, aber ich habe auch keine vermisst. Alte Holztische, wie man sie aus alten Schulzeiten auch im Kopf hat, dienten nicht nur als Schultisch. Umgedreht und aufgekappt erschienen R.I.P. Schriftzüge und man hat sofort den Grabstein erkannt.
Eine aufgeklappte Leiter diente als Baum und auf dieser konnten beidseitig immer Darsteller hinauf steigen. Besondern in der Szene Hanschen/Ernst fand ich das soooooo toll! Als beide oben am Ende der Leiter standen und unter wilder Knutscherei von der Bühne gefahren wurden.
Und weil sich der Zuständige wohl gedacht hat, da wurden schon zu viele Requisiten benutzt, musste das Cast auch noch aushelfen :D So spielten die Jungen als weitere Rolle auch mal ein Brückengeländer.
Die Tatsache, dass man nicht von einem riesigen Bühnenbild abgelenkt wurde, machte das Stück noch viel, viel intensiver als es eh schon ist.

Das Publikum im English Theatre hat mir sehr gefallen. Der Applaus nach “Totally Fucked” kam mir so unbeschreiblich und unwirklich vor. Ich war nach der Nummer ja selber geplättet, aber wenn man dann auch noch zusätzlich von dem Rest des kleinen Saales die atemberaubende Reaktion auf diesen Song mitbekommt schwebt man doch gleich noch 3 Wolken höher.
Das letzte Highlight im Theatersaal war dann der Schlussapplaus. Beim letzten Ton von “The Song of Purple Summer” stand bereits der Großteil des Publikums. Die Darsteller sind immer wieder auf die Bühne zurückgekehrt und haben gestrahlt wie sonst was. Wenn die Jungs und Mädels keinen Spaß an ihren Shows gehabt haben, weiß ich auch nicht was da los war. Und dann haben wir auch noch eine Zugabe bekommen, denn das komplette Cast, diesmal einschließlich der beiden Erwachsenen, hat noch einmal “Totally Fucked” gesungen. Ich weiß nicht wieso, aber mir kam das alles so unwirklich vor. Ich war wie unter einer Droge, die mir ein paar Minuten später entrissen werden sollte.

Das Cast bestand fast ausschließlich aus jungen Darstellern, die mir alle noch unbekannt waren. Aber die Namen werde ich mir merken, denn sie waren ALLE fantastisch! Ich bin so traurig, weil ich denke, dass ich wahrscheinlich keinen von ihnen je wieder sehen werde, aber wer weiß?
Eigentlich brauche ich gar nicht auf jeden einzelnen Darsteller eingehen, denn ich würde wahrscheinlich bei jedem das gleiche schreiben wollen: wow, atemberaubend, fantastisch, unbeschreiblich, genial, spektakulär, traumhaft, gigantisch, fabelhaft, einmalig, …

Devon Elise Johnson hat eine traumhaft naive, wissbegierige Wendla abgegeben. Es war der Hammer, wie sehr sie das Schulmädchen verkörpert hat. Aber nich nur schauspielerisch war sie top! Ihre Stimme ist wunderschön und berührend. Ihr hört man einfach gerne zu *träum*

In Craig Mather’s Stimme habe ich mich sofort verliebt. Er hat eine so gefühlvolle Klangfarbe, das ist wirklich unbeschreiblich und auch seine Körperhaltung, seine Mimik, oh man, allein der Gedanke an ihn macht mich gerade sprachlos und blockiert mich total beim Schreiben :D
Der Zusammenbruch auf dem Friedhof kam einem so wirklich vor. Er hat sich definitiv hervorragend in seine Rolle hineinversetzt!



Greg Fossard hat meiner Meinung nach einen so hohen Wiedererkennungswert in seiner Stimme. Heftig! Sowohl im Gesang als auch in der Sprechstimme *I like* Und auch die Darstellung der Verzweiflung von Moritz hat er 1a umgesetzt. Phänomenal! Am heftigsten war für mich "Don't do sadness". Greg hat bei dem Song wirklich pure Verzweiflung ausgestrahlt *bibber*

Und zu Gareth Mitchell muss ich auch noch was sagen *kicher* wenn auch etwas abweichend zu Spring Awakening: Was macht Draco Malfoy da auf der Bühne? Um auch noch was Konstruktives zu sagen: Gareth war der beste Tänzer, oder sagen wir besser Turner, denn er hat viele Turneinlagen (Saltos, Rollen) gemacht, was mir sehr gut gefallen hat.

An dem Merchandising sollte sich so manch anderer Veranstalter (zum Beispiel Stage *hust*) eine Scheibe abschneiden. Ich habe das Komplett-Programm genommen und alles gekauft was es gab :D Und das für sage und schreibe 28 €!!!

Das T-Shirt gab es für 10 €. Ich habe mir das Männer T-Shirt gekauft, weil die Frauen Shirts total komisch geschnitten waren. Das sollte wohl bauchfrei sein. Wer trägt denn so was noch?

Die CD war mit 15 € das teuerste was es gab. Ich bin so glücklich, dass es extra eine CD von diesem Cast gibt. Ich habe zwar die Broadway-Cast-CD im Regal stehen, aber erstens habe ich dieses Cast live erlebt und zweitens gibt es zwischen den beiden Aufnahmen doch einen gesanglich großen Unterschied.

Für 2 € gab es das Programmheft, in dem unter anderem jeder Darsteller mit Foto und kurzem Vita abgedruckt ist.
Für nur einen Euro einen Button. Natürlich auch mit dem "totally fucked" Schriftzug,

und für umsonst gab es Kondome.

Morgen Abend werde ich bestimmt noch eine Gedenkminute an Spring Awakening einlegen, denn es ist die Derniere und wie gerne wäre ich dabei gewesen. Das ist schon ein kleiner Stich ins Herz, zu wissen, dass ich das Stück so nie wieder sehen werde. Und die Darsteller werden alle zurück nach London gehen und vielleicht sehe ich einen von ihnen dort wieder, aber wahrscheinlich eher nicht und auch definitiv nicht mehr zusammen auf der Bühne.

So verbleibe ich nach diesem Abend “totally fucked”. Im mehr als positiven Sinne, weil es einfach ein unvergessliches Erlebnis für mich bleiben wird und im negativen Sinne, weil ich es momentan mehr als schrecklich finde, dass Spring Awakening in Deutschland zu Ende ist.

9 Kommentare:

  1. Ich hätte deinen Post grade nicht lesen sollen. Erstens hab ich grade Tränen in den Augen, weil du alles so toll beschrieben hast und mir gleich wieder die Gänsehaut den Rücken hochsteigt und zweitens weiß ich beim besten Willen nicht, wie ich jetzt meinen Post schreiben soll... Darf ich abschreiben?! *lol* Nein, ich mach jetzt Kaffeepause und dann fließt hoffentlich mein eigener Post aus mir heraus *g*
    Hach - war ein toller Abend. Hätten wir eher machen sollen, damit wir nochmal hätten hinfahren können... :)

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  2. Wieso sind wir nicht einfach über Nacht in Frankfurt geblieben und haben heute irgendwem sein Ticket geklaut??? :/
    Ich mag ne Zeitmaschine haben *schnief*
    Bin schon gespannt auf deinen Blog! <3

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  3. Danke für den Bericht. Ich wünschte ich hätte es sehen können, aber ich hab noch meine Erinnerungen an die Wiener Produktion, die ebenfalls toll war. Über die Produktion in Frankfurt habe ich ausnahmslos nur gute Dinge gehört. Das ist selten.

    Eine kleine Anmerkung: "Frühlings Erwachen" von Wedeking ist kein Roman sondern ein Theaterstück.

    Liebe Grüße

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  4. Jap - Wir hätten da bleiben sollen - Ich hab auch grade gesehen, dass die Vorstellung heute schon um 18 Uhr war. Und vielleicht hätte wieder Jemand vor dem Theater Tickets gedealt... Hätte, wäre, wenn... Aufgrund der vielen positiven Kritiken MUSS es einfach eine Wiederholung geben.

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  5. Danke für die Info Elisabeth, ich habe es nur als Buch gelesen und habe mich da auch nicht weiter mit auseinander gesetzt *schäm*

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  6. hab das buch erstmal auf meine wunschliste gesetzt :)

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  7. Ich fand das Buch toll, aber wie man gesehen hat unterscheiden sich da die Geschmäcker wieder sehr^^

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  8. So, jetzt habe ich auch endlich mal gelesen...

    Toller Bericht! SA in Frankfurt war wirklich etwas besonderes und ich bin froh, das gesehen zu haben.

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  9. Toll, ne? :)
    Freut mich dass es dir auch gefallen hat!
    Es ist so schade, dass wir es so nicht mehr sehen werden *schnief*

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